„Für mich sind Food Trends immer Antworten
auf aktuelle Wünsche, Probleme und Sehnsüchte“

Hanni Rützler erforscht seit mehr als 25 Jahren die Veränderungen unserer Esskultur. Ihr Blick richtet sich dabei ausgehend von den großen Entwicklungslinien, den Megatrends wie Globalisierung, Gender Shift oder Neo Nature insbesondere auf Food Trends, die uns in den kommenden fünf bis 15 Jahren beschäftigen werden. „Ich möchte, dass die Menschen verstehen, woher der Wandel kommt und was für Potentiale darin stecken. Denn für mich sind Food Trends immer Antworten auf aktuelle Wünsche, Probleme und Sehnsüchte“, erläutert Rützler.

„Die Betriebsverpflegung wurde hierzulande bis vor kurzem oft stiefmütterlich behandelt. Sie stand nicht für Genuss und Lebensfreude. Sie stand nicht für Qualität und Vorfreude. Und das passt eben nicht mehr in die heutige Zeit“, beschreibt die 59jährige Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheits-
psychologin. Längst haben auch Unternehmen im deutschsprachigen Raum über den Atlantik gelinst und beispielsweise bei großen IT-Riesen im Silicon Valley gesehen, dass Arbeit auch Freude machen kann – wenn sie einen Beitrag zur Lebensqualität leistet. „Dazu braucht man als Unternehmer aber auch das passende Setting und die entsprechende Haltung. Essen ist dabei ein riesiger Hebel.“ Der Pfad weg vom matschigen, lieblos gekochten Gemüse hin zu frisch zubereiteten vegetarischen Speisen führt allerdings viel weiter als nur über neue Trendgerichte wie Buddha-Bowls.

Nouvelle Cantine, die neue Kantinenkultur, beschreibt eine Trendwende in der Betriebsgastro-nomie. Ganz bewusst in Anlehnung auf die „Nouvelle Cuisine“, einem Kochstil, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der französischen Küche entwickelt wurde und auf frische Zutaten, natürlichen Geschmack, leichte Saucen, kürzere Zubereitungszeiten und schonende Verarbeitung setzt. „In den 1970er und 1980er Jahren haben die Gastronomiekritiker Henri Gault und Christian Millau den Begriff publik gemacht und damit die Küche revolutioniert“, erläutert die Wienerin Rützler. In Deutschland gilt Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann als einer der wichtigsten Vertreter der neuen Art zu kochen, mit der Abkehr von der oftmals schweren, deftigen und fleischlastigen deutschen Hausmannskost. Hanni Rützler hat den Begriff Nouvelle Cantine in Anlehnung an die Nouvelle Cuisine 2019 geprägt: „Ich wollte dieses Französische mitnehmen, weil Französisch bei mir immer noch die Idee der Wertschätzung auslöst. Der Wertschätzung für das Produkt.“

Wertschätzung zeigt sich in der Nouvelle Cantine gleich auf mehreren Ebenen. Der Arbeitgeber tut etwas für seine Mitarbeiter, in dem er ihnen ein kulinarisch hochwertiges Angebot macht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlen sich mitgenommen in ihren individuellen Bedürfnissen – das motiviert. Die Kantine selbst gleicht einem „Bistro, Restaurant oder etwas ganz Neuem. Einem Platz, an dem es um Regeneration, Inspiration, Austausch, Rückzug – was auch immer gerade gebraucht wird – geht“, so Rützler. „Wer ein Betriebsrestaurant führt, hat auch eine ernährungsphysiologische Verantwortung, muss wissen, was eine ausgewogene Ernährung ist, das ist State of the Art. Allerdings, das alleine reicht natürlich nicht: Es muss vor allem schmecken! Und schön ausschauen! Und es muss die richtige Rezeptur haben, mit denen die Leute abgeholt und inspiriert werden.“ Eine noch so bunte Bowl, die nach nichts schmeckt, lockt also niemanden hinterm Schreibtisch hervor.

Der Wandel in den Betriebsrestaurants nimmt laut Rützler seit fünf bis zehn Jahren richtig Fahrt auf. Kein Wunder, denn die Megatrends Gesundheit, Individualität und New Work spiegeln sich – wie viele andere Trends – auch in unserem Essverhalten.

 

Arbeit besteht nicht mehr allein darin, Geld zu verdienen oder eine Aufgabe zu erledigen. „Es geht hier auch um Lebensqualität. Wir sehen, dass das Rekrutieren von Personal richtig schwierig ist. Gute Leute, die engagiert sind, sind schwer zu kriegen und schwer zu halten.“ Unternehmen sollten nicht nur neue, flexiblere Arbeitsformen ermöglichen, sondern sich auch verstärkt um die Pausen, das Miteinander und eben auch das Essensangebot als Teil ihrer Corporate Identity kümmern. Ernährung hat laut Hanni Rützler darüber hinaus einen enormen Stellenwert für jeden einzelnen eingenommen: „Ich finde es spannend, dass das Essen im Lebensmittelüberfluss so ein Ausdrucksmittel der Individualität wird. Befreit von Mangel an Nahrung, sozialen Normen und Druck können wir zum Beispiel an Weihnachten sagen: „Ich bin Veganer“ – ohne dass man enterbt oder vor die Tür gesetzt wird.“ Jeder entscheidet, was er auf dem Teller haben will und was auch eben nicht. Und das ganz bewusst und aus eigener Überzeugung: „Es geht nicht mehr um reine Effizienz, es geht nicht mehr darum, nur etwas billiger zu bekommen. Denn der Preis für das Billige wird unappetitlich.“ Die Wahl will man natürlich auch während der Arbeitszeit haben, hat man sie nicht, sucht man sich etwas anderes.

Betriebsrestaurants haben viele Möglichkeiten auf die Food Trends einzugehen.

Und tun das auch vielfach schon: „Wir Wissenschaftler sehen, dass es ein sehr innovativer Markt ist. Gerade die Betriebsverpflegung hat früh auf Fair Trade gesetzt, oder auch bei Abfall und Recycling Pionierarbeit geleistet - und hat das gar nicht richtig in die Öffentlichkeit getragen. Viele Betriebsrestaurants sind wirklich toll unterwegs, da ist wahnsinnig viel Innovation im Gange“, so Rützler. Der Begriff Nouvelle Cantine soll der Entwicklung noch einmal Rückenwind geben. Denn die Branche kann allein durch ihre Größe etwas bewirken – im Übrigen auch in Sachen klimafreundlicher und nachhaltiger Esskultur.

Gerade durch Corona beschleunigen sich die gesellschaftlichen Trends – allem voran in der Arbeitswelt, meint Hanni Rützler. Homeoffice, virtuelles, flexibles oder betriebliches Arbeiten – das alles im Mix. Für Betriebsrestaurants bedeutet das, sich auf einen noch vielfältigeren Mitarbeitenden einzustellen und noch speziellere Angebote zu machen: „Denn diese haben längst gelernt, verschiedene Kanäle zu nutzen, um ans Essen zu kommen. Die Branche muss sich fragen: Wie kann ich noch besser in Austausch gehen, wie kann ich sichtbarer machen, wie wir kochen, was wir kochen, wie kann ich in Dialog kommen, es leichter machen, einen Essalltag zu gestalten, der oftmals ziemlich durcheinander gekommen ist?“ So facettenreich wie die Arbeit sein wird, muss also laut Rützler auch das Essensangebot werden. Und es muss in Zukunft weit über en klassischen Kantinen-Service hinausgehen. „Mit Speisen zum Mitnehmen für zu Hause, mit Meal-Kits, die daheim nur finalisiert werden müssen. Wodurch auch die Familie der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen profitiert.“

Nichtsdestotrotz – das unbeschwerte Zusammensein und Miteinander mit den Kollegen am Mittagstisch im Betriebsrestaurant wird, insbesondere nach überstandener Pandemie, weiter einen ganz besonders hohen Stellenwert einnehmen.